08.01.13 – GERICHT: OMA TÖTET ENKELTOCHTER

GRAUSAME TAT WIRD AM LANDGERICHT VERHANDELT
Fünfjährige Enkeltochter muss mit ansehen, wie die zweijährige Schwester umgebracht wird – Noch kein Urteil

Von: Rolf Müller, KreuznacherNachrichten.de

Vor der Schwurgerichtskammer des Kreuznacher Landgerichts wird unter Vorsitz von Richter Dr. Bruno Kremer wegen Totschlags, womöglich sogar wegen Mordes verhandelt

BAD KREUZNACH (08.01.13). Fassungslosigkeit im kleinen Örtchen Niederwörresbach-, Fassungslosigkeit bei Prozessbeobachtern-, und es herrscht auch Fassungslosigkeit bei Prozessbeteiligten in einem Fall, mit dem sich seit Kurzem die Schwurgerichtskammer am Kreuznacher Landgericht beschäftigen muss.
Laut Anklage der Staatsanwaltschaft soll nämlich eine 56 Jahre alte Frau am 23. Juni vergangenen Jahres ihr zwei Jahre altes Enkelkind zunächst gewürgt, es dann mit einem Küchenmesser am Hals so sehr verletzt haben, dass es -so ein Rechtsmediziner- binnen kurzer Zeit verstarb.
Das alles passierte vor den Augen der fünf Jahre alten Schwester, die ebenfalls bei den Großeltern zu Besuch war. Die Kammer unter Vorsitz von Dr. Bruno Kremer erteilte zu Prozessbeginn den rechtlichen Hinweis, dass alt Tatvorwurf sogar Mord in Frage kommen kann. Dabei gehe es um das Mordmerkmal der Heimtücke, weil das Kind die drohende Gefahr nicht habe erkennen können.
Die Eltern der Mädchen handelten nach der Tat schnell und verantwortungsbewusst, in dem sie sich um eine Familientherapie bemühten. Das kann womöglich ein klein wenig dazu beitragen, dass sie und die Geschwisterkinder trotz des schlimmen Verlustes, künftig noch ein annähernd erträgliches Leben führen können.
Wie sich das Erlebte auf die kleine Schwester auswirken wird, kann noch nicht mit Gewissheit prognostiziert werden.
Dagegen scheint die Zukunft der Angeklagten gewiss: Die Frau wird entweder einige Jahre im Gefängnis verbüßen müssen und/oder für geraume Zeit in einer Entziehungseinrichtung untergebracht, denn bei der Tat scheint Alkohol eine wesentliche Rolle gespielt zu haben.

Das Medieninteresse am Prozess ist groß

Die Aussagen der Angeklagten und ihres Mannes zu den getrunkenen Mengen Alkohols am Tattag stehen im krassen Widerspruch zu den gemessenen Blutalkoholwerten. Der lag bei der Großmutter einige Zeit nach der Tat bei 2,91 Promille, möglicherweise während der Tat sogar bei über drei Promille.
Der Ehemann sagte aus, es seien an diesem Tag drei oder vier Schnapsgläser Wodka getrunken worden. Die Angeklagte sagte, sie habe kurz vor der Tat zusätzlich noch ein halbes Wasserglas davon getrunken.
Die Rekonstruktion der Trinkgewohnheiten des Ehepaars geht sogar so weit, dass die Flaschen, aus denen der Wodka getrunken wurde, mit Namen behaftet wurden. So wurde aus der „Trauerflasche“, die aus Anlass des Todes eines Schwagers gekauft wurde getrunken, es gab eine „Freitagsflasche“ und auch eine „Bienenflasche“. Aus der trank dann der Ehemann der Angeklagten immer mal wieder ein Gläschen, wenn er sich als Hobby-Imker an seinen Bienenstöcken aufhielt. Dann gab es noch „Schmuckflaschen“, die laut Großvater nur als „Dekoration“ in der Wohnung standen.
Nachbarn, die als Zeugen ausgesagt hatten, wollen jedenfalls immer wieder Geschrei der Frau und Türeschlagen aus der Wohnung des Ehepaars gehört haben. Vor Gericht wiegelte der Großvater ab: Einmal sei eine Tür in der Wohnung etwas lauter zugeschlagen worden. Geschrei der Angeklagten und auch das Türeschlagen würden in dieser Kombination schon dafür sprechen, dass  die Angeklagte öfters betrunken gewesen sein könnte, so Kremer.
„Nun machen Sie sich doch mal darüber Gedanken, ob Sie am Tattag nicht doch wirklich mehr getrunken haben“, so Richter Kremer in Richtung der Angeklagten. Eine zufriedenstellende Antwort erhielt er dennoch nicht.
Der Alkoholkonsum seiner Frau habe während der vergangenen drei Jahre schon zugenommen, berichtete der Mann dann wenigstens auf mehrfaches Nachfragen. Als Grund sieht ereine damals plötzlich aufgetretene Erkrankung seiner Frau, die mit starken Spritzen behandelt werden mussten.
Am Tattag habe er sich schon früh im Wohnzimmer auf die Couch gelegt und habe etwas Fernsehen geschaut, berichtete der Großvater später über die Vorgänge des 23. Juni. Als er undefinierbare Geräusche aus dem Schlafzimmer hörte, wollte er nachschauen was los ist und habe seine Frau im Bett liegend und völlig abwesend vorgefunden.
„Ich musste sie erst kräftig schütteln, damit sie reagiert.“ Dann habe er eindringlich nach dem kleinen Enkelkind gefragt und in dieser Situation draußen, auf dem Terrassenboden, „etwas Helles“ entdeckt. Dort fand er die Leiche der kleine Anna. Ganz weich habe sie sich angefühlt, aber kalt sei sie gewesen. Als er die große Wunde am Hals gesehen habe, sei ihm bewusst geworden, dass das Mädchen tot ist.
„Bist Du verrückt“, habe er seine Frau angeschrien, und sie dazu aufgefordert zu erklären, was passiert ist. Zur Antwort habe er bekommen, dass die fünf Jahre alte kleine Schwester für den Tod des Mädchens verantwortlich sei. Das Mädchen habe dann aber ihm gegenüber beteuert, dass es die Oma gewesen sei. „Etwas anderes war für mich auch nicht denkbar.“
Enormer Blutverlust, Würgen und womöglich auch Ersticken seien als Todesursachen für das Mädchen zu sehen, berichtete der Stellvertretende Leiter der Mainzer Rechtsmedizin Professor Thomas Riepert aus seinem Gutachten. Bei der etwa neun Zentimeter langen und vier Zentimeter breiten Wunde am Hals seien neben der Schlagader weitere Blutgefäße durchtrennt gewesen, die Luftröhre nahezu vollständig. Durch sie drang auch das Blut in die Lunge. Innerhalb kürzester Zeit habe das Mädche nahezu das gesamte Blut, bei Kindern in diesem Lebensalter sind das etwa 1,1 Liter, verloren, so der Professor. „Das Kind war bleich, die Organe waren bleich.“ Nicht einmal ausgeprägte Totenflecken habe es gegeben. „Das Kind war nahezu ausgeblutet.“
Für die Augen eines Rechtsmediziners seien daneben auch die umfangreichen kleinen Einblutung an Hals, Mund, Augen und Ohren sehr markant gewesen. Das deute auf ein erhebliches Würgen hin. Insgesamt habe der Todeskampf der kleinen Anna womöglich bis zu zwei Minuten gedauert. Auf eine mögliche Tatabfolge wollte sich der Rechtsmediziner nicht festlegen.
Dazu konnte nur die tatsächlich einzige Zeugin etwas sagen, nämlich die Schwester von Anna. In einer Videovernehmung schilderte die Fünfjährige, wie sie zusammen mit ihrer kleinen Schwester bei der Oma im Bett schlafen wollten. Dort sei es mit Anna auch zu kleinen Kabbeleien gekommen. Anna habe dabei auch mit den Füßen geschubst. „Oma wollte schlafen doch Anna war zu laut“, erinnerte sich die Schwester, die während ihrer Vernehmung einen aufgeweckten und recht intelligenten Eindruck machte. Statt sich während der Unterhaltung mit dem Spielzeug zu beschäftigen, antwortete sie flüssig und direkt auf die einfühlsamen Fragen von Vernehmungsrichterin Sabrina Sixt. Die Oma habe sie in die Küche geschickt ein Messer holen. Mit dem Messer in der Hand kam das kleine Mädchen zurück ins Schlafzimmer. Die Großmutter schickte das Kind abermals in die Küche, wo es ein anderes Messer holen sollte. Diesmal brachte das Mädchen ein kleineres Messer mit. „Damit hat Oma der Anna dann den Hals aufgeschnitten“, berichtete das Kind.
Es sind noch weitere Fortsetzungstermine geplant. Wann es zu einem Urteil kommt, steht noch nicht fest.