„KINDER BRAUCHEN ZEIT!“
Text: Rolf Müller, KreuznacherNachrichten.de und UNICEF
Fotos: Kinderschutzbund Bad Kreuznach
BAD KREUZNACH (20.09.12) Aus Anlass des Wetkindertages veranstaltet der Kinderschutzbund Bad Kreuznach am Donnerstag, 20. September 2012 , von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr, wieder ein fröhlich-buntes Fest, diesmal wegen der Bauarbeiten auf dem Kornmarkt rund um die Paulus-Kirche.
Der Kinderschutzbund hat sich zum Weltkindertag 2012 das Motto:“ Kinder sind die Größten – wichtig, es geht um mich! “ gegeben und dazu die Aktion „Spielräume“ vorbereitet.
Auf dem Kinder-Stadtplan von Bad Kreuznach sollen Kinder und Jugendlichen farbig die Orte markieren, an denen sie sich gerne aufhalten und an denen sie sich unwohl fühlen, dies auch begründen.
Die Kinder des „Kindercafè Knallfrosch“ des Kinderschutzbundes werden um 17. Uhr die einstudierten Tänze aufführen.
Neben Aktionen und Information des Kinderschutzbundes, soll genügend Raum und Zeit für Spiel und Unterhaltung bleiben.
Musikalisch wird der Weltkindertag wieder von Gruppen des Rock- und Popwerkstatt begleitet. Teilnehmer sind regionale Vereine und Verbände, darunter auch das Viktoriastift, die Mühle, Malteser Hilfsdienst, Inner Wheel Rheinhessen-Nahe, Jugendverkehrsschule, Kunstwerkstatt. „Mainz 05 hilft“ bietet eine Tombola und wird ein gemeinsam mit dem Kinderschutzbund ausgewähltes Projekt finanziell unterstützen.
„KINDER BRAUCHEN ZEIT!“
„Kinder brauchen Zeit!“ – so lautet das diesjährige Motto von UNICEF Deutschland und dem Deutschen Kinderhilfswerk zum Weltkindertag am 20. September. Damit möchten die Kinderrechtsorganisationen das Recht der Kinder auf Spiel und Freizeit, auf elterliche Fürsorge und auf Beteiligung ins Bewusstsein rücken.
Dieses Recht ist festgeschrieben in der Internationalen Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, die seit 20 Jahren in Deutschland gilt. Im April 1992 wurde sie von der Bundesrepublik ratifiziert. Vielen Erwachsenen und Kindern sind diese verbrieften Rechte allerdings immer noch unbekannt. UNICEF Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk setzen sich dafür ein, dies zu ändern – denn nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch durchsetzen.
Kinder brauchen Zeit zu spielen und sich zu entwickeln
Doch ein voller Stundenplan, Freizeitstress und steigende Anforderungen sowohl der Arbeitswelt als auch der Gesellschaft bestimmen in vielen Familien den Alltag. Schon im Grundschulalter sind viele Kinder mit Musik- und Ballettstunden, Fußballtraining, Hausaufgaben und Nachhilfestunden in enge Zeitkorsetts gepackt und haben zu wenig Freiraum für freies Spielen und Entdecken. Während einigen Kindern kaum Zeit zur Erholung bleibt, werden andere Kinder und Jugendliche sich selbst überlassen. Manche verbringen sehr viel Zeit vor Bildschirmen, haben kaum sportlichen Ausgleich und vernachlässigen persönliche soziale Kontakte.
Besonders das Spielen draußen, im Freien und mit Freunden kommt bei zu vielen Kindern und Jugendlichen zu kurz. Dabei ist es immens wichtig: Im Spiel mit Anderen lernen Kinder sich kompetent zu bewegen, sie lernen soziale Kontakte zu knüpfen, sich in größeren Gruppen zu verhalten, sich durchzusetzen und Regeln einzuhalten. Beim Spiel im Wohnumfeld lernen sie selbstständig zu sein, sich und ihre Umwelt zu organisieren.
Das Spiel ist im Idealfall ein selbstbestimmtes Lernen. Im Spiel lernen Kinder mit allen Sinnen, mit starker emotionaler Beteiligung, mit geistigem und körperlichem Krafteinsatz. Es fordert und fördert die ganze Persönlichkeit. Im Spiel lernen die Kinder freiwillig und mit Spaß, über Versuch und Irrtum, ohne Versagensängste. Sie stellen sich ihre Fragen selbst und finden dazu die Antworten. Dafür brauchen Kinder Pausen im durchgetakteten Alltag ebenso wie Ermunterung und Motivation.
Kinder brauchen Zeit für freiwilliges Engagement
Wer Kinder und Jugendliche ernst nimmt, muss ihnen Zeit lassen für gesellschaftliches Engagement, zum Beispiel in Kinder- und Jugendparlamenten, Kinder- und Jugendversammlungen oder in Jugendverbänden. Hier können sie unmittelbar demokratische Erfahrungen machen, die Auswirkungen ihres Engagements sehen, nachvollziehen und sich damit identifizieren. Kinder und Jugendliche werden hier als Experten in eigener Sache ernst genommen und können Politik und Gesellschaft durch neue Ideen anregen.
Kinder und Jugendliche, die sich selbst als aktiv gestaltend erfahren, werden sich auch als Erwachsene eher an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen. Das hat eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerkes eindrucksvoll bestätigt. Mehr als 900 ehrenamtlich Aktive sowie Bundes-, Landes- und Kommunalpolitiker wurden befragt. Das Ergebnis: Fast 83 Prozent derjenigen, die sich heute gesellschaftlich stark engagieren, haben dies bereits in der Kindheit und Jugend getan.
In diesem Zusammenhang gibt das deutlich sinkende gesellschaftliche Engagement von Jugendlichen nach der Verkürzung der Gymnasialzeit Anlass zur Sorge. Der 3. Bildungsbericht der Bundesregierung stellt fest: „Während 52 Prozent der G9-Schülerinnen und -Schüler eine freiwillige Tätigkeit ausüben, ist dies nur bei 43 Prozent der G8-Schülerinnen und -Schüler der Fall“. „Ehrenamtliches Engagement gerät so unter Zeitdruck“, resümiert der Deutsche Bundesjugendring zutreffend.
Auch vor dem Hintergrund der nach wie vor viel zu hohen Armutsrisikoquote bei Kindern und Jugendlichen ist Zeit für gesellschaftliches Engagement wichtig. Armut umfasst neben der materiellen Dimension ebenso soziale, gesundheitliche und kulturelle Bereiche. So sehen sich Kinder in Armut häufig ausgeschlossen von Bildung, Partizipation und Perspektive. Sie müssen stärker und mit mehr Zeitaufwand gefördert werden als ihre materiell besser gestellten Altersgenossen, damit sie ihr Recht auf Beteiligung wahrnehmen können.
Kinder brauchen Eltern, die Zeit für sie haben
Kinder brauchen die Liebe ihrer Eltern, ihre Fürsorge und Anleitung. Die meisten Mädchen und Jungen würden gerne mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen. Das hat eine repräsentative Umfrage bestätigt, die UNICEF 2010 zusammen mit der Kinderzeitschrift GEOlino durchgeführt hat. Dieser „Kinderwerte-Monitor“ hat auch gezeigt, dass Kinder dabei durchaus Realisten sind. Sie wissen um die Notwendigkeit von Arbeit und Berufstätigkeit ihrer Eltern. Wenn ihre Mütter berufstätig sind, finden sie das zumeist gut. Insgesamt schneiden Mütter besser ab als Väter, wenn es um gemeinsam verbrachte Zeit geht. Aus Sicht der Kinder nehmen sich Mütter unter der Woche zu 80 Prozent „viel“ oder „genügend“ Zeit für ihre Kinder, Väter kommen dagegen nur auf 44 Prozent. An den Wochenenden haben die Väter zwar ganz überwiegend „viel“ oder „genügend“ Zeit für ihre Kinder, aber auch dann liegen die Mütter vorne. Die Mehrzahl der Kinder bedauert den Verzicht auf gemeinsam verbrachte Zeit. Und viele von ihnen erleben auch Stress und Ungeduld der Eltern als Schattenseite der Berufstätigkeit.
Die Ansichten der Kinder decken sich erstaunlich deutlich mit den Einschätzungen der Erwachsenen, die im 8. Familienbericht der Bundesregierung 2011 wiedergegeben sind. Demnach können sich 63 Prozent der Väter und 37 Prozent der Mütter mit minderjährigen Kindern nach eigenen Angaben aus Zeitgründen nicht genug um ihren Nachwuchs kümmern. Mehr als 40 Prozent der Eltern mit minderjährigen Kindern leiden „oft oder immer“ unter Zeitdruck. Dies betrifft Mütter aus Doppelverdiener-Haushalten weit häufiger als aus Einzelverdiener-Haushalten. Bei alleinerziehenden Müttern steht sogar jede zweite unter Dauerstress. Hierdurch leidet auch die Qualität der gemeinsam verbrachten Zeit.
Auch laut der Studie „Was Kinder denken, fühlen und wünschen 2011“ von Iconkids & Youth im Auftrag der Zeitschrift ELTERN Family wünschen sich 76 Prozent der befragten Kinder, dass ihre Eltern sich mehr Zeit für sie nehmen. 46 Prozent der Mädchen und Jungen geben an, dass sie „vor lauter Lernen“ kaum noch Zeit für andere Dinge haben, die sie gerne machen.
Gemeinsame aktive Zeit mit Vätern und Müttern ist Kindern besonders wichtig. Jede Stunde davon ist deshalb ein Beitrag für das Wohlergehen der Kinder und damit der ganzen Gesellschaft.
Politik und Gesellschaft müssen die Bedingungen für Familien so verbessern, dass die Belange von Kindern nicht länger übergangen werden. Das funktioniert besser, wenn Politiker Kinder nicht nur als künftige Leistungsträger wahrnehmen, sondern als eigenständige Persönlichkeiten respektieren.
Zeit ist ein Baustein für mehr Kinderfreundlichkeit
Die Bedürfnisse von Kindern ernst nehmen, ihnen zuhören und sich Zeit für sie zu nehmen, sind wichtige Bausteine für ein kinderfreundliches Deutschland. Politik und Gesellschaft müssen stärkere Anstrengungen unternehmen, um den Zeitbedürfnissen von Kindern und Familien gerecht zu werden. UNICEF Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk halten vor allem folgende Schritte für notwendig:
- Arbeitszeiten und Öffnungszeiten von Betreuungseinrichtungen müssen besser koordiniert werden. Dazu müssen sich Arbeitgeber, Gewerkschaften und Kommunen und andere Träger von Betreuungseinrichtungen abstimmen.
- Wenn Kinder mehr Zeit in der Schule verbringen, müssen Unterricht und andere Aktivitäten sich sinnvoll ergänzen. Dies muss berücksichtigt werden, wenn das Angebot an Ganztagsschulen entsprechend dem Bedarf erweitert wird. Schule muss auch ein Ort sein für Sport und Musik, für Theater und Malen, ein Platz zum Spielen und zur sinnvollen Freizeitgestaltung mit Gleichaltrigen.
- Die Kommunen müssen für eine kinderfreundliche Gestaltung von Schulen und Betreuungseinrichtungen von Bund und Ländern die notwendige Unterstützung erhalten. Die prekäre Haushaltslage vieler Kommunen darf nicht länger dazu führen, dass zu Lasten der Kinder gespart wird.